Ungefähr 500 Aufgaben in Form von Tüchern hingen über ihm. Es erscheinen ihm unbewältigbar viele. Wann würde er all diese noch zu tuenden Tätigkeiten erledigen? Es erscheint ihm fast unmöglich. Langsam gruppiert er sie. Beim Malen kommt er drauf, dass er alle Malertätgkeiten gerne mit anderen Männern durchführt. Sie küssen sich und verlieben sich. Eines Tages wird er mit einem Tuch verwirrt auf der Piazza gefunden. Man holt ihn zurück. Es ist ok. Manche Tücher stehen eben auch für Verwirrung.
«Schreiben ist mir ein politischer Ausdruck» sagt er.
«Mir ist ganz recht wenn ich in Fahrtrichtung sitzen kann.»
Kein Wort, kommt über seine Lippen. Worktkarg fragt er sich, was er hier macht. Mit Tränen in den Augen ist er traurig. Traurig wie Sauerteig.
Er würde nie eine andere Frau kennenlernen wollen. In diesem seelischen Zustand würde er auch keine finden. Andere Frauen brauchten keinen Mann um die 50, der unpädagogischer Lehrer wäre, ein schlechter Künstler, nie beim Militär, sich nichtmal bei 14jährigen durchsetzen konnte, ein mieser Handwerker, ein noch schlechterer Koch, kein Maler, kein Musiker, kein Rennfahrer, kein Sportler. Er hatte zu diesem Zeitpunkt nichtmal einen Wikipedia Eintrag.
“Ach, bringe mich doch irgendwer um.”
«Wohin?»
So in einem zweifellos sinnlosen Attentate umzukommen, das wäre zwar ein gesellschaftlicher Verlust für die Welt, aber sicher nicht sonderlich schlimm für ihn selber.
Nein, er ist nicht glücklich.
Gerade eben nicht.
Er wünschte es sich so sehr, nicht mehr Leben zu müssen. Er suchte Tools, die ihm die Macht über sein Leben gaben: ein Anker, ein Fallschirm, Gift. Das war es doch was ihm eine Freundin empfohlen hatte: «Du wirst Werkzeuge finden …»
Die Menschen warten auf dem Bahngleis auf den Zug, der 7 Minuten 5 Minuten zu spät kommen wird. Die Sängerin einer mitreisenden Band schaut schon in die Richtung des Tunnels aus dem alle Züge zu kommen pflegen und fragt: “Wo bleibt er denn?”
Seine Gedanken kreisen um Sie. In jeder Minute wünscht er sie sich zurück. Unbemerkt von den anderen Fahrgästen schwimmt er in seiner unendlichen Traurigkeit und weint unmerklich stille Tränen der Verzweiflung und Worte der Distanz.
[1.7., 10:49] Ange: Ich möchte gerne mein Klavier in September mitnehmen. Das ist das schönste Geschenk dass du mir gegeben hast, nach Pablo.
[2.7., 13:10] Ange: Ich habe alle meine Bücher schon zusammengestellt.
[2.7., 18:59] Puma: Bravo
[2.7., 20:13] Ange: Möbeln, Pflanzen habe ich auch begonnen aber noch nicht alles.
[3.7., 14:34] Puma: Du kannst mitnehmen was du willst, den Rest entsorge ich
[3.7., 19:03] Ange: Ok grazie
Einfache Unterhaltungen strecken sich über mehrere Tage. Sie hat begonnen ihre Sachen aus der gemeinsamen Wohnung mitzunehmen. Er würde alles wegwerfen was an sie erinnert. Ausnahmslos alles.
Könnte er jemals wieder
Irgendjemand anderem Glück schenken?
Könnte ihm jemals wieder
Irgendjemand Glück schenken?
So wichtig sein wie sie es jemals war?
So vertraut?
Wenn er daran denkt dass sie jetzt ihr Glück mit einem Anton ihres Vertrauens teilt, dann kann er es nach wie vor nicht fassen. Er will sich die Bekanntschaft mit einer Frau vorstellen, einem Menschen mit der er bis zu seinem Lebensende zusammen sein könnte.
Der eiserne Heinrich.
Sie schreibt: «Ich hasse dich nicht, ich liebe dich offensichtlich immer noch und ich werde dich immer lieben, Puma, und ich werde immer leiden, weil wir nicht in der Lage waren, so zusammen zu sein, wie wir es wollten. Weil 12 Jahre eine lange Zeit sind und weil es einem Sterben gleichgekommen wäre, in der Situation zu bleiben, in der wir uns befanden.»
Mutter ruft an: «Du darfst sie nicht hassen.»
Er träumt von einer Flucht mit Schülern durch die Wälder und könnte jetzt einfach ruhig sein und sich nicht wehren.
«Wir treffen uns heute nacht in unserern Träumen» schreibt sie ihm.
«Na bravo!» denkt er wohlwissend, dass sie den Ausspruch hasst.
«Bravo» nochmal.
«Bravo, bravo, bravo»
Er schreibt Nina, warum weiss er nicht genau. Vielleicht um sich zu treffen, über Kunst zu sprechen, zusammen essen, mit ihm schlafen oder Körpererfahrungen auszutauschen?
Sie antwortet [22:59, 5.7.2024] Nina: hab ja auch lange überlegt von wo wir uns kennen. Das Leben ist grad widermal kompliziert aber gut soweit. bei dir? Bis auf ein anderes Mal.
[23:16, 5.7.2024] Puma: Bei mir entgültige trennung nach 20 jahren beziehung und beim versuch einer totalen sonnenfinsternis zu entgehen 😉 suche ich gesprächspartner&innen und endlich meinen roman fertig zu bekommen und als ich dich gesehen habe, wusste ich erst nicht wer du bist und dann: «hey, die nina habe ich eigentlich nie richtig kennengelernt». wenn du auch gesprächsbedarf hast, ich bin nächste woche noch in zürich und dann 2,3 monate auszeit irgendwo im ewigen eis. soweit gut, haha.
Sie antwortet nicht und er schreibt an Gabriela: “Bin heute den ganzen Tag zuhause gesessen, draussen hat es geregnet, während du geschlafen hast 😉 und hab von den 500 Tüchern nur drei geordnet.”
Ein Tuch davon war, dass er aus seinem Geburtsdatum und der durchschnittlichen Lebenserwartung in seiner Region, sein Haltbarkeitsdatum festgelegt hat. Es wäre der 1.November 2056.
“Ich erzähle dir sicher nicht meine sexuellen Fantasien, dass du sie an deinem neuen Hawara ausprobieren kannst, sorry. Nein das mach ich nicht.”
Eine andere Form. Werkzeuge sich selbst zu erfinden. Würde er all das gefunden haben würde er alle die Vergangenheit vergessen können. Er braucht eigentlich nur Geld. So 150000 Euro oder noch besser 300000 für einen ganzen neuen Anfang für den Rest seines Lebens bis zu seinem Lebensende mit 70 Jahren, das er ausgerechnet hat. Noch 20 Jahre. Dann wäre es vorbei. Endlich. Er konnte das Ende nicht sehnlicher erwarten. Er wollte bis dahin nur noch seinen Gefühlen freien Lauf lassen.
Aber nicht vor allen Leuten. Verzweifelt wählt man aus, wem man was erzählen kann. Vielleicht. Nicht alle waren bereit dafür. Man unterhält sich über das Wetter. Dann
trifft der Zug in Mailand ein. Man steigt aus, ermittelt weiter Reisezeiten und Treffpunkte, gönnt sich einen Cafe, .
Er will im Sommer fast nicht nach Österreich fahren, so sehr erinnert auch dieser Ort an sie. Aber das gemeinsame Haus hat auch etwas sehr Selbständiges, Beruhigendes.Er könnte nichtmal eine der Nutten fragen, die er verspeist hat, die würden sicher 2000 pro Monat verlangen ohne Kost und Logis und die junge Frau um die 30 die ihm gegenüber sass, hätte etwas anderes zu tun, als ihn durch den Lebensabend zu begleiten.