Kategorien
Die letzten 10000 Tage Texte Trennung

Im Restaurant

Die Salate werden auf Tabletten an ihm vorbeibalanciert und an den Tischen vom unausgebildetem Service Personal serviert. Die Tische kleben nicht nur an den Rändern, wo man eine Flüssigkeit gegen Ameisen versprüht hat mit dem Hinweis in Form eines Post-its. Man solle die Tische nicht nach der Klebrigkeit ihrer Ränder beurteilen und die Bäckerei nicht nach den Wespen auf den Honigbrötchen im Sommer.

Ein Behinderter schaut ihn an, weil er ihn anschaut. Man schaut sich gegenseitig an und bemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber sonst eigentlich alles in Ordnung ist. Er hämmert wie ein Verrückter blind auf die Tastatur ein, so wie er es gelernt hat und fühlt sich wie ein Künstler im Rhytmhus der Musik, lockert in den Ruhepausen seine Hände und führt sich sichtlich auf wie ein der behindertste unter den Behinderten mit oder ohne Trisomie 22. Er schaut nun zu den 8 reservierten Menschen auf deren Tisch ein Schild mit dem Hinweis “Reservation” steht. Sie haben den Platz reserviert obwohl sie nicht behindert sind. Bei der Reservation eines Sitzplatzes muss niemand seine Behinderung ANGEBEN. ANDERE, die GANZ BESTIMMT nicht BEHINDERT sind, BEHINDERN sich selbst durch die NUTZUNG ihrer mitgebrachten MOBILTELEFONE und ähnlichen PROTHESEN. Er bestellt Spaghetti Napoli.

Unter Trisomie 22 versteht man eine spezielle Form einer Genommutation, bei der das Erbgut von Chromosom 22 dreifach, statt wie üblicherweise doppelt in den Zellen vorliegt. KOMISCH, dabei hat ihm erst vor kurzem jemand – im fällt nicht ein wer – versichert, dass bei der Trisomie 22 das Chromosom 22 fehlen würde. Er weiss nicht mehr wer es war. Bei Betrachten der Reservation auf dem Nebentisch: “Philippe 7 Personen” fällt es ihm ein. PHILIPP hat ihm dieses wissenschaftliche Unschärfemärchen erzählt. Es sind aber acht Personen an dem Tisch. Zudem ist die Workshopleiterin in der Zwischenzeit aufgetaucht und verteilt Blätter mit Turnschuhen unter den Anwesenden, die unter einem Plakat des Latin Musikfestivals PICANTE sitzen, das wohl nichts mit dem Workshop zu tun hätte, der sich jetzt vor seinen Augen vollziehen sollte.

An einem weiteren Tisch wartet eine Frau mit einem Helm und einem Seil auf die Ankunft einer Person. Man chattete: «Bin 5 Minuten zu spät.»
«Macht nichts, ich warte hier.»
«So sorry, der Regen, you know.»
«Kein Problem, ich schaue mir die Leute an.»

Gerade jetzt kommen die Spaghetti Napoli, die er bestellt hat und bald in seinem Magen landen würden. Er klappt den Laptop zu – für was sonst sind diese Faltmaschinen gemacht, als zum Zuklappen – und die ungelernte Fachkraft bemerkt: “Genau rechtzeitig fertig geworden.” Dabei hätte er den Laptop auf jeden Fall zum Zeitpunkt des Eintreffens der Spaghettti zugeklappt. Dieser Zufall wäre also niemals ein Zufall gewesen, es wäre immer eine kalkulierte Handlung gewesen. Die Spaghetti Napoli beeinflussten das Ende des Buchs und nicht umgekehrt.

Er schlingt die Spaghetti hinunter, währendessen er schon an die Fortsetzung der Geschichte dachte, in der sich die Handlung um Ritter und Weiber drehen würde und nicht über die banale Darstellung von Gästen in einem  Restaurant. Die Darstellung von Gästen in einem Restaurant war lediglich eine Beobachtungsübung, eine Situation zu beschreiben, die Menschen, ihre Handlungen, ihre Gesichtausdrücke, Systeme und Anomalien erkennen wie zum Beispiel die drei Kellner, die nachheinander aus derselben Richtung ohne Gläser, Teller oder Dinge kommen. Diese Information könnte man an das Geschäft verkaufen. Da, der Mann, der immer schrieb, der um sein Leben schrieb, wie er sein Leben auf die Reihe bekommen wollte. «Nein, nicht mich. Ich meine nicht mein Leben.»
Da sitzt noch ein anderer Menschen, ein älterer Herr mit Bart, vielleicht gleich alt wie er, der hier schon seit Tagen in der Gegend herumsitzt und seine Monografie schreibt? Menschen die an ihm vorbei auf eine Tafel schauen nur um sich zu vergewissern was es heute noch zu Essen gäbe. Nicht, alles war schon ausverkauft! Als er endlich seine Nudeln vertilgt hat, kann er weiterschreiben: «Die Frau mit dem Helm hat ihren erwarteten Besuch bekommen, eine offensichtlich verschnupfte Dame desselben Jahrgangs.»

Die Dame mit der doppelten Menge an Chromosom 22 Säuren steht auf und bezahlt mit Postkarte für alle anderen Behinderten bezahlt sie das Essen und einen Kaffee zusätzlich für einen Behinderten, der noch kommen würde. In der Zwischenzeit ist die Workshopleiterin eingetroffen, die Filzstifte für die 7 Personen auspackt und eigentlich könnte man hier aufhören zu erzählen, aber andererseits hat alles auch erst angefangen zu passieren.

Ein Mann MIT BAUCH geht AN IHM VORÜBER, und visiert WOHL DIE TOILETTE als ZIEL an. DIE beiden DAMEN unterhalten SICH neben dem HELM, aber wohl nicht ÜBER den Helm. DIE KELLNERINNEN gehen weiterhin kontinuierlich in derselben Reihenfolge AN IHM VORBEI. Wie AMEISEN folgen sie SICH GEGENSEITIG um an den vorbereitenden Tischen Speisen auf -u. abzutragen. DIE WORKSHOPTEILNEHERINNEN bestellen EISTEE und IRGENDWAS MIT SCHUHEN. Sie gestaltet Schuhe mit Filzstiften und jetzt machten alle mal mit.

Dann verfasst er eine kurze Geschichte der künstlichen Intelligenz von Ovid bis Weizenbaum und konzipiert eine Liebesmaschine mit allen Glücks -u. Liebesmechanismen.